Abschiednehmen von traditionellen Erwartungen - Männer in der
Familienbildung
Wie wird der gesellschaftliche Rollenwandel von Männern erlebt? Wie reagiert
Familienbildung auf Konflikte und das sich wandelnde Verhältnis zwischen den
Geschlechtern? Welche Möglichkeiten bieten Männergruppen, um zu einem neuen,
gleichberechtigten Zusammenleben von Männern und Frauen zu kommen? Hans
Stapelfeld und Jörg Reiner Hoppe beschreiben Eckpunkte der in die Krise
geratenen männlichen Identität, setzen sich kritisch mit traditionell weiblich
orientierter Familienbildung auseinander und skizzieren Probleme und Chancen von
Männergruppen als Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen.
Seitdem Frauen aufgehört haben, ihre gesellschaftliche Ungleichheit,
Benachteiligung und Unterdrückung passiv hinzunehmen, ist vieles in Bewegung
geraten. Traditionelle Rollenmuster werden aufgebrochen, was unterschiedliche
Reaktionen hervorruft: teilweise auf Erhaltung der bestehenden Ordnung
ausgerichtet, teilweise mit Experimentierfreude auf der Suche nach neuen
Lebensformen. In der Familie zeigen sich die Konflikte zwischen Männern und
Frauen am deutlichsten. Wo sich traditionelle Rollen von Mann und Frau
aufzulösen beginnen und neue Handlungsmuster nicht von selbst entstehen, lassen
sich häufig Sprachlosigkeit, destruktive Austragung der Konflikte oder
Gewalttätigkeit beobachten. Andererseits steigen auf Grund der allgemeinen
Verunsicherung die Wünsche nach Geborgenheit und Sicherheit an den Partner ins
Unermessliche. Nähe, Vertrautheit und gegenseitiges Verständnis scheinen um so
wichtiger, je bedrohter die Gemeinsamkeit zwischen den Geschlechtern ist. Dies
führt zur Überforderung der Partner. Als letzter Ausweg erscheint Frauen und
Männern häufig nur noch die Trennung. Die gestiegene Zahl der Scheidungen kann
als Symptom der Krise des Geschlechterverhältnisses gesehen werden.
Im schwindenden Vertrauen zu den gesellschaftlichen Institutionen und ihren
Repräsentanten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Religion zeigt
sich die Krise der männlichen Identität. Der von Männern erzeugte
wissenschaftlich-technische Fortschrittsglaube bedroht die Welt, in der wir
leben, insgesamt. Das männliche Programm, die Welt mit Hilfe von Forschung,
Wissenschaft, Technik und eines stetig wachsenden Wirtschaftssystems zu
beherrschen, ist an Grenzen gestoßen. Es ist zudem diskreditiert, weil es auch
auf die Beherrschung von Frauen, Kindern und Schwachen abzielt.
Frauen machen sich durch eigene Berufstätigkeit unabhängig vom männlichen
Ernährer. Männer werden häufig von der Trennung überrascht und erleben es
als besonders kränkend, wenn sie von Frauen verlassen werden. Sie haben sich
vielfach mit den Umständen abgefunden und scheinen für die Leere in ihrer
Beziehung und die Frustration der Frau unempfindlich zu sein. Nach der Trennung
bricht für sie eine ausweglose Situation auf, wenn sie feststellen müssen,
dass sie emotional weder mit noch ohne Frau leben können.
Familienbildung und das Verhältnis der Geschlechter
Die heutigen Einrichtungen der Familienbildung haben sich in den siebziger
Jahren aus den Mütterschulen entwickelt, deren Lerninhalte Nähen, Kochen,
Hauswirtschaft, Säuglingspflege und Geburtsvorbereitung waren. Mit der
Umbenennung in Einrichtungen für Familienbildung reagierten die Mütterschulen
auf den Wandel des familiären Zusammenlebens. Die zunehmende Berufstätigkeit
veränderte das Selbstbild von Frauen und deren Erwartungen an Männer. Wenn
beide Eltern zum Familieneinkommen beitragen, besteht für Männer wie Frauen
die Chance, sich am Familienleben und an der Kindererziehung zu beteiligen.
Eine auf diese Entwicklung bezogene Familienbildung stellt das sich wandelnde
Verhältnis von Müttern und Vätern, Frauen und Männern, Eltern und Kindern,
und die Konflikte zwischen Geschlechtern und Generationen in den Mittelpunkt.
Faktisch bezieht sich Familienbildung heute noch vielfach auf die von der
geschichtlichen Entwicklung überholte Form der Arbeitsteilung zwischen den
Geschlechtern, in der Familie „Frauensache" war. Familienbildung wird
primär als Frauenbildung verstanden _ was sich am größtenteils weiblichen
Personal, an den für relevant gehaltenen Themen und an den
Teilnehmerinnenzahlen ablesen lässt _, da versäumt wurde, sich von der
vorherrschenden Konstellation im Geschlechterverhältnis zu verabschieden. Der
frühere Verzicht der Frau auf berufliche Entwicklung wurde durch die
Zuständigkeit für den Gefühlsaustausch im Geschlechterverhältnis
kompensiert. Frauen haben die Macht, die Atmosphäre und die emotionale Seite
der Beziehung zu gestalten und damit den männlichen Partner an sich zu binden.
Seit ihrem Einstieg in die Berufstätigkeit wollten Frauen sowohl die verliehene
Macht als Frau und Mutter bewahren als auch zu ihrer eigenen Entlastung den Mann
verstärkt in Familienaktivitäten einbeziehen.
Der Anspruch der Gleichberechtigung soll im Arbeitsleben angewandt werden. Er
kann für das Familienleben gleichermaßen Geltung beanspruchen. Vom Mann mehr
Engagement in der Familie zu erwarten, würde für die Frau bedeuten, Macht
abzugeben. In der weit verbreiteten Annahme, die Aufgabe bestände darin,
Männer verstärkt in die Familienarbeit einzubeziehen, halten Frauen ihre
Machtposition aufrecht. Die Vorstellung vom Geschlechterverhältnis als einer
komplementären Beziehung, in der die Frau aus ihrer traditionellen
Machtposition den Mann in die von ihr bestimmten und kontrollierten Aktivitäten
einbezieht, erscheint vom Standpunkt der Geschlechterdemokratie als
kontraproduktiv, da es heute darauf ankommt, neue Beziehungs-, Lebens- und
Umgangsformen für den Bereich zu entwickeln, der zwischen Frau und Mann, Mutter
und Vater und Eltern und Kindern liegt. Dafür Räume zur Verfügung zu stellen,
wird der Familienbildung nur gelingen, wenn sie sich nicht im Geschlechterkampf
verwickelt, sondern sich den unterschiedlichen Teilen von Familie als neutraler
Ort anbietet. Parteilichkeit für Frauen würde das unmöglich machen. Weil die
Familienbildung ein Übergewicht von Frauen bei den Teilnehmenden wie bei den
haupt- und nebenberuflichen Mitarbeiter/innen aufweist, entsteht für Männer
und Väter eine Barriere, an sie gerichtete Angebote anzunehmen. Männer
erwarten kaum, innerhalb einer Frauendomäne wie der Familienbildung für sich
einen Raum und etwas Hilfreiches zu finden.
Die Familienbildung greift in ihrer Bildungsarbeit u.a. lebensgeschichtliche
Situationen auf, die den Charakter von Übergangssituationen haben, wie z.B.
Geburt eines Kindes oder Trennung, in denen latente Konflikte zwischen Frauen
und Männern besonders deutlich werden.
Männer in der Geburtsvorbereitung
Viele Paare scheinen zu glauben, ihr Leben würde nach der Geburt eines
Kindes so weitergehen wie bisher, nur eben zu dritt. Tatsächlich verändert
sich mit der Geburt eines Kindes fast alles, weil alte Rollen beendet und neue
übernommen werden. Wenn die Frau mit dem Kind unter Verzicht auf ihre bisherige
Berufstätigkeit zu Hause bleibt und der Mann allein für das Familieneinkommen
zuständig ist, wandelt sich die partnerschaftliche Beziehung in eine auf
ökonomischer Ungleichheit und Abhängigkeit beruhende Beziehung. Diese Art der
Arbeitsteilung wird immer noch von der Mehrheit der Paare bevorzugt. Jedoch gibt
es heute viele Paare, die etwas anderes wollen. Viele Frauen wollen möglichst
bald wieder in den Beruf zurückkehren. Gelegentlich kommt es zum Rollentausch,
wenn der Mann als Hausmann beim Kind bleibt. Bei Paaren, die sich für das
geschlechterdemokratische Modell der geteilten Elternschaft entscheiden,
übernimmt jeder einen Teil der Verantwortung für das Kind und für das
Familieneinkommen. Hier entsteht, da viele Situationen nicht in traditioneller
Weise geregelt sind, ein großer Gesprächs- und Abstimmungsbedarf.
Vorbereitung auf die Geburt ist ein wichtiges Thema der Familienbildung. Etwa
seit den 70er Jahren bringen Frauen ihre Partner zu den
Geburtsvorbereitungskursen mit. Heute entwickeln werdende Väter von sich aus
Interesse, an der Geburt ihres Kindes teilzunehmen, sich darauf vorzubereiten
und sich nach der Geburt an der Pflege und Erziehung zu beteiligen. Zwar
gehören diese Männer noch zur Minderheit derjenigen, die nicht mehr so
ausschließlich wie früher an Beruf und Karriere interessiert sind. Jedoch
zeigt sich hier beispielhaft, dass ein Wertewandel und eine Veränderung der
familialen Lebensform und der Geschlechterrollen begonnen haben.
Die meisten Männer, die in die Familienbildung kommen, nehmen an den
Geburtsvorbereitungskursen teil. Hier stehen gemäß der Devise, Geburt sei
Frauensache, die schwangeren Frauen im Mittelpunkt. Geburt und Mutterwerden sind
das Hauptthema. Die Kursleitung wird in der Regel von einer Hebamme oder
Krankengymnastin übernommen. Durch die Zentrierung der Aufmerksamkeit auf die
Schwangerschaft und die bevorstehende Geburt kommen Aspekte der Entwicklung zur
Familie nicht genügend zur Sprache, und Vaterwerden ist kein gleichwertiges
Thema. Auf die Fragen und Lernbedürfnisse der Männer wird nicht hinreichend
eingegangen. Da sie keinen männlichen Ansprechpartner finden, „gibt es in
diesen Kursen bisher kaum oder kein spezielles Angebot für werdende
Väter" (Gonser/Hellbrecht-Jordan 1994).
Zwar glauben viele Leiterinnen von Geburtsvorbereitungskursen, sie seien in
der Lage, nicht nur den Frauen, sondern auch den Paaren gerecht zu werden, weil
sie Geburtsvorbereitung im Wesentlichen als eine Vermittlung von Inhalten
ansehen. Im Hinblick auf den werdenden Vater stellen sie sich die Frage, wie er
in die weibliche Sicht des Geschehens zu integrieren ist. Die männlichen
Teilnehmer erleben, dass sie beim Frauenthema „Geburt" zwar als Helfer
gefragt sind, hingegen nicht als gleichberechtigte Partner, die von der Geburt
und dem Vaterwerden auf andere Weise betroffen sind als Frauen. Die Situation
wird anders erlebt, wenn ein Kurs von einer Frau und einem Mann gemeinsam
geleitet wird, da dann alle Anwesenden verstehen, dass es um ein Thema geht, das
sowohl aus weiblicher wie aus männlicher Sicht behandelt werden soll.
Familienbildung, die sich in Geburtsvorbereitungskursen nur auf die Geburt
konzentriert, vergibt eine wesentliche Chance, den Prozess der Entstehung von
Familien zu begleiten. Sie könnte einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der
kommunikativen Fähigkeiten zur Austragung und Lösung von Konflikten leisten,
anstatt die Männer lediglich, wie häufig zu beobachten ist, in der ihnen
vertrauten Rolle, in der sie sich z.B. als Experten für die günstigsten
warentestgeprüften Angebote rund um die Geburt darstellen, anzusprechen.
Männergruppen: Antwort auf gesellschaftlichen Wandel
Männergruppen in der Familienbildung stellen den Versuch dar, dem Unbehagen
an der gegenwärtigen Situation nachzuspüren und sich darüber ohne das andere
Geschlecht zu verständigen. In der Gruppe erleben Männer im Unterschied zur
vorherrschenden Konkurrenzsituation zunächst eher ihre Gemeinsamkeit und
fühlen sich solidarisch. Angesichts der Erwartung, dass sich in der Gruppe ein
gemeinsames Thema aus den individuellen Einfällen entwickelt, versuchen die
Männer das zu machen, was ihnen aus ihrem Berufsalltag vertraut ist: Sie suchen
ein klar und deutlich umrissenes sachliches Problem, um dies zu bearbeiten. Im
Beruf sind sie gefordert, die äußere Welt zu bearbeiten, zu manipulieren und
zu kontrollieren, um Probleme zu lösen. Mit sich und ihrem inneren Erleben
beschäftigen sie sich anfangs auf ähnliche Weise. Es fällt ihnen noch schwer,
den offenen Raum der Männergruppe für ihre Einfälle, Gefühle und emotionalen
Bedürfnisse zu nutzen. Sie empfinden in der Gruppe auftretendes Schweigen als
sehr belastend und nicht als Chance, eigenen Empfindungen nachspüren zu
können. Sie haben zunächst noch kein Vertrauen in den freien Fluss der
Einfälle und Gefühle, da sie diese nicht ernstnehmen und artikulieren. So
bleiben sie anfänglich eher in der Rolle des kontrollierten Beobachters und
Problemlösers, der sachkundig Tipps und Ratschläge gibt. Erst langsam können
sie mit Hilfe der Gruppenleiter, die so etwas wie Übersetzer der emotionalen
Anteile der versachlichten Kommunikation sind, neue Zugänge zu sich und den
anderen erschließen.
Die Männer, die in die Männergruppe kommen, sind Banker, Ingenieure,
Handwerker usw., und bei allen Unterschieden ist ihnen gemeinsam, dass sie
beruflich erfolgreich sind. In der Gruppe zeigt sich, dass unter der Maske des
dynamischen Berufsmannes auch ein kleiner bedürftiger Junge lebt, der nach dem
Berufsalltag zu Hause emotional versorgt werden möchte. Für diese Männer ist
es eine große Verunsicherung, die oft zur Krise führt, wenn sich die Ehefrau
weigert, die Rolle der liebenden Ehe- und Hausfrau zu spielen. Die Männer
sehnen sich nach Zärtlichkeit, Fürsorge und Zuwendung. In der Perspektive
ihrer emotionalen Bedürftigkeit erscheint ihnen die Frau wie eine große
Mutter, die ihnen alles geben soll. Seitdem Frauen dieses Beziehungsmuster mit
dem Mann als Berufsmenschen und der Frau als Familienmutter durch ihren Eintritt
in das Berufsleben zunehmend in Frage stellen und nicht mehr bereit sind, Liebe
gegen Versorgtwerden und materielle Sicherheit zu tauschen, befinden sich
Männer unter Druck: Dies führt manchen in die Männergruppe.
Die Entscheidung zur Teilnahme an einer Männergruppe enthält den Wunsch
nach Angenommenwerden, so wie man ist, und auch den Wunsch nach Veränderung. Am
Anfang steht die Frage: Wird mein Bild von mir von den anderen bestätigt oder
verworfen, werde ich von ihnen überhaupt so wahrgenommen, wie ich es mir
wünsche, oder werde ich gar übersehen? In der Gruppe besteht die Chance und
das Wagnis, sich selbst in der Beziehung zu anderen zu erfahren und in neuen
Beziehungen ein anderer Mann zu werden. Der Einzelne erfährt durch die anderen
seine Abhängigkeit wie seine Selbständigkeit. Männliches
Autonomieverständnis als Nichtangewiesen-sein-Wollen auf andere verändert sich
durch die Gruppenteilnahme. Versuche, Abhängig-Werden in Beziehungen zu
vermeiden durch Distanz, Schweigen, Beobachtung oder Zurückhaltung von
Gefühlen usw. verhindert, zum Mitglied der Gruppe zu werden. Wer sich hingegen
allzu sehr nach den Erwartungen der anderen richtet, z.B. durch besondere
Einfühlsamkeit, durch Zuhören und Verstehen, ohne von sich zu sprechen, bleibt
ebenfalls als Person unerkennbar. Zwischen den Polen von Autonomie und Aufgehen
in der Gruppe erfährt der Einzelne seine Möglichkeiten, sich als die bestimmte
Person, die er ist, in den Beziehungen zu den anderen darzustellen, zu erleben
und zu verstehen.
In dem Maße, wie Männer und Frauen sich eine gleichberechtigte
Liebesbeziehung wünschen, versuchen sie, vom traditionellen
Geschlechterverhältnis abzurücken, ohne sich jedoch häufig ihrer emotionalen
Gebundenheit daran hinreichend bewusst zu sein. Zur Krise in der Partnerschaft
kommt es, wenn beide Partner zu unterschiedliche gegenseitige Rollenerwartungen
haben. In der Trennungssituation erlebt der Mann den Verlust der Partnerschaft,
sein Alleinsein, seine Abhängigkeit, seine Trauer, seinen Schmerz, und daraus
entsteht das Bedürfnis, diese vielfältigen in der Trennung aufbrechenden
Gefühle jemand anvertrauen zu können. Da die Lebenspartnerin häufig die
einzige vertraute Person gewesen ist und viele Männer keine freundschaftlichen
Kontakte haben, ist die Männergruppe oft der Ort, an dem diese Lebenssituation
besprochen wird. Die Männergruppe eröffnet die Möglichkeit, sich mit dem
Erleiden des Verlustes auseinander zu setzen. Diese Trauerarbeit kann zur
Ablösung der Männer aus Beziehungen führen, die wesentliche Seiten ihrer
Identität unterdrückt haben. Liebesfähig zu werden und die idealen
Vorstellungen und Größenfantasien von Weiblichkeit und Männlichkeit
aufzugeben, bedeutet heute stets Abschiednehmen von den traditionellen
Erwartungen an das Geschlechterverhältnis.
Literatur: Gonser, Ute/Ingrid Helbrecht-Jordan: „Vater sein dagegen sehr!" Wege
zur erweiterten Familienorientierung von Männern, Materialien zur Väter- und
Männerarbeit in der Familien- und Erwachsenenbildung. Bielefeld 1994, S. 68 u.
82f.
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